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Facebook ist nicht mehr nur Facebook. Facebook – das ist das soziale Netzwerk selbst, das ist der Messenger-Dienst, Instagram, Whatsapp und Oculus VR, ein Hersteller von Virtual-Reality-Hardware. Und ein Forschungslabor, das seine Experimente und Bewertungen nach außen hin mit den Worten rechtfertigt: „Um Menschen zu befähigen, sich zu vernetzen, ist ständige Innovation erforderlich.“
Diese soziologische Datensammlung ist die größte ihrer Art in privater Hand. Datenschützer wie Max Schrems oder Katharina Nocun haben es sich zur Aufgabe gemacht, die gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Nutzung von Daten in Gang zu halten, denn es geht längst nicht mehr nur um personalisierte Werbung.
Wenn man auf der Titelseite von Facebook Research die Überschrift „Creating Smarter, More Meaningful Experiences Globally“ liest, möchte man dem Unternehmen zustimmen. Ja, natürlich, eine digitale Welt will sinnvoll organisiert sein. Doch ein Blick hinter die Kulissen lässt einen mehr als ratlos zurück. Allein sieben Klicks sind nötig, um die Interessenkategorien zu sehen, nach denen Facebook Werbung für die Nutzer ausspuckt. Sie können sich vorstellen, wie viele es braucht, um diese Kategorien zu bereinigen. Aber wenn man ein vollständiges Datenprofil erhalten will, wie es nach der DSGVO für alle Nutzer auf Anfrage möglich ist, muss man hartnäckig sein. Die Datenschützerin Katharina Noncun hat dies nach dem Skandal um Cambridge Analytica getan und die Ergebnisse in ihrem Buch The Data I Called: How We Sell Our Freedom to Big Business. Denn Facebook weiß viel mehr, als es auf den ersten Blick erkennen lässt.
Suchvorgänge und Standortverlauf
Zunächst vielleicht zu den bereits bekannten Dingen: Facebook speichert alle jemals getätigten Sucheingaben. Jeder Name oder Satz, der aus einer Laune heraus eingegeben wird, wird ordentlich protokolliert. In der Rubrik „Dein Standortverlauf“ können Nutzer, die der Facebook-App Zugriff auf ihren Standort gegeben haben, sehen, wann und wo sie unterwegs waren. In großen Städten sind die Informationen so genau, dass man sogar die Hausnummer erraten kann. Noch Jahre später kann man auf einer Karte sehen, welche Restaurants man jemals besucht hat.
Freunde und solche, die es nicht mehr sind
Der Datensatz protokolliert minutengenau, wann ein Kontakt hergestellt wurde und auf wessen Initiative. Die Übersicht listet auf, welche Freundschaftsanfragen abgelehnt wurden und welche unbeantwortet blieben. Facebook kennt nicht nur unsere aktuellen Freunde, sondern auch die, die wir vor Jahren gelöscht haben.
Interessenkategorien – für höhere Anzeigenpreise
Im Bereich „Werbung“ findet der Nutzer eine Liste aller Facebook-Werbeanzeigen, die er jemals angeklickt hat, und unter der Überschrift „Werbeinteressen“ finden sich alle Kategorien, in die man aufgrund seines Nutzungsverhaltens eingeordnet werden kann – und das, ohne es zu merken. Das führt zu absurden Kategorisierungen wie „Salz“, „Bier“ oder „Blue-ray Disc“. Der Abschnitt „Werbetreibende mit Ihren Kontaktinformationen“ enthält eine Liste von Organisationen und Unternehmen, die die E-Mail-Adresse des jeweiligen Nutzungsprofils mit Facebook abgeglichen haben, um personalisierte Werbung zu schalten. Die Zustimmung zu einem solchen Datenabgleich ist bei vielen Unternehmen und Newslettern im Kleingedruckten versteckt. Wenn Sie Pech haben, finden Sie in der Liste aber auch Unternehmen, die einen Abgleich ohne Rechtsgrundlage – also illegal – durchgeführt haben.
Fotos und was damit gemacht wurde
Jedes Foto und Video wird mit der IP-Adresse gespeichert, über die es hochgeladen wurde. Je nach Kamera- oder Smartphone-Einstellungen enthalten die Bilddateien auch Informationen über das Gerät, die Belichtungseinstellungen, das Datum der Aufnahme oder sogar den Standort (Längen- und Breitengrad). Wenn Sie die entsprechenden Einstellungen auf Ihrem Smartphone aktiviert haben, könnten Sie hier sogar die Koordinaten Ihrer eigenen Wohnung finden. Auch wenn diese Daten in den öffentlichen Facebook-Posts herausgefiltert werden, bemerkt Facebook selbst sie sehr wohl.
Ich like (nicht mehr)
Menschen ändern sich, aber Daten bleiben. Wer Facebook seit Jahren nutzt, erfährt in seinem Datensatz eine Menge über sich selbst. Jede Nachricht, jede Interaktion und jeder Kommentar wird gespeichert. Jede Gruppendiskussion, jeder Like und Smiley oder beiläufig geteilte Link wird protokolliert. Ebenso alle Veranstaltungen, zu denen man jemals eingeladen wurde. Doch es geht noch weiter: Datenschützer haben das Unternehmen schon lange verdächtigt, im Grunde alles zu speichern. Als der Rechtsanwalt und Datenschützer Max Schrems 2011 die Freigabe seiner Daten erwirkte, fand er sogar gelöschte Beiträge oder Einträge, die nie abgeschickt worden waren.
Die vollständige Antwort auf die Frage „Was weiß Facebook über mich?“ würde viele Nutzer erschrecken. Wer wann auf wessen Profil klickt und wie lange dort bleibt, ist keineswegs Datenmüll, sondern verrät viel über unsere Innenwelt. Es geht aber nicht mehr nur um den Schutz der individuellen Privatsphäre, sondern darum, wie wir diese Entwicklung für die globale Gesellschaft bewerten. Wir müssen uns fragen, unter welchem Vorwand solche Daten überhaupt erhoben werden dürfen und erkennen, dass es keine klare Trennlinie mehr gibt zwischen Werbung und psychologischem Profiling, das mitunter auch den Ausgang von Wahlen bestimmen kann.
Auch wenn nach dem Urteil im Mai 2021 das Privacy Shield als Rechtsgrundlage für den Austausch personenbezogener Daten europäischer Bürger mit den USA wegen mangelnden Datenschutzes für ungültig erklärt wurde, so gilt doch Folgendes: Auch mit angepassten Privatsphäre-Einstellungen steht das soziale Netzwerk immer noch vor einem der am umfassendsten überwachten Orte im digitalen Raum.